Das Vasc­Mo­del

Unse­re Arte­ri­en spie­len für unse­re Gesund­heit eine ganz wesent­li­che Rol­le. Sie über­neh­men nicht nur die Ver­sor­gung der Orga­ne mit sau­er­stoff­rei­chem Blut, son­dern gewähr­leis­ten durch ihre ganz beson­de­ren Wand­ei­gen­schaf­ten, dass der Blut­trans­port mög­lichst ener­gie­spa­rend, scho­nend und gleich­mä­ßig von­stat­ten geht. Und dass auch der ent­fern­tes­te Bereich des Kör­pers nicht ver­nach­läs­sigt wird, sowohl im Lie­gen als auch im Ste­hen. Nicht umsonst lau­tet ein popu­lä­rer Aus­spruch: “Der Mensch ist so alt wie sei­ne Gefäße”.

Direk­te vs. indi­rek­te Bestim­mung der Arterieneigenschaften

Die Wand­ei­gen­schaf­ten der Arte­ri­en las­sen sich beim leben­den Men­schen nicht direkt bestim­men. Eine Biop­sie eines kom­plet­ten Arte­ri­en­wand­seg­ments ist im Nor­mal­fall nicht mög­lich und auch die visu­el­le Dar­stel­lung von Arte­ri­en­seg­men­ten wie z.B. bei der Inti­ma-Media-Dicken­be­stim­mung lei­det dar­un­ter, dass zwar die Gefäß­qua­li­tät eines ein­zel­nen, kur­zen Seg­ments mit hoher Qua­li­tät dar­stell­bar ist. Aber die Funk­ti­ons­wei­se eines gan­zen Arte­ri­en­baums, näm­lich das Blut ener­gie­ef­fi­zi­ent und gleich­mä­ßig zu den Orga­nen zu trans­por­tie­ren, und die Bestim­mung sei­ner phy­si­ka­li­schen Eigen­schaf­ten im Gan­zen kön­nen so nicht ermit­telt wer­den. Somit blei­ben für die Funk­ti­ons­be­ur­tei­lung der Arte­ri­en im Wesent­li­chen indi­rek­te Mess­ver­fah­ren wie z.B. die Puls­wel­len­ge­schwin­dig­keit oder der Aug­men­ta­ti­ons­in­dex, mit deren Hil­fe auf die Arte­ri­en­ei­gen­schaf­ten geschlos­sen wer­den kann.

Tech­ni­sche Simulationsmodelle

Das Pro­blem, dass phy­si­ka­li­sche Para­me­ter von Unter­su­chungs­ob­jek­ten nicht oder nur mit immensem Auf­wand direkt bestimmt wer­den kön­nen, tritt in For­schung und Ent­wick­lung recht oft auf, zum Bei­spiel bei der Bestim­mung von Strö­mungs­ei­gen­schaf­ten bei Pro­to­ty­pen von Flug­zeu­gen oder Schif­fen. Und immer wie­der greift man hier wie dort auf ein bewähr­tes Mit­tel zu: Das Simu­la­ti­ons­mo­dell. Gelingt es, ein mög­lichst rea­les Modell des Unter­su­chungs­ob­jekts zu erstel­len, las­sen sich hier­mit vie­le Unter­su­chun­gen wesent­lich ver­ein­fa­chen oder sogar erst ermöglichen.

Lässt sich ein mensch­li­cher Arte­ri­en­baum im Modell simulieren?

Und so stell­ten wir uns zu Beginn unse­res Pro­jekts die Fra­ge: Ist es mög­lich, ein Modell des Arte­ri­en­baums eines belie­bi­gen Men­schen anzu­fer­ti­gen? Und kann man dar­in tat­säch­lich die Arte­ri­en­ei­gen­schaf­ten qua­si “direkt” mes­sen? Sozu­sa­gen “in simu­la­tio­ne” statt “in vivo” …

Das Noor­der­graf-Wes­ter­hof-Modell von 1969

Unser Pro­jekt zur Ent­wick­lung eines indi­vi­dua­li­sier­ba­ren Arte­ri­en­mo­dells star­te­ten wir mit einer Recher­che nach schon ver­öf­fent­lich­ten Arte­ri­en­mo­del­len. Sehr vie­le Model­le basie­ren auf der Ana­lo­gie zwi­schen dem elek­tri­schen Strom­kreis­lauf und dem Blut­kreis­lauf, ande­re auf rein mathe­ma­ti­schen Model­len. Eines der bekann­tes­ten und meist­zi­tier­ten Model­le wird in der Ver­öf­fent­li­chung von Noor­der­graf und Wes­ter­hof [1] aus dem Jahr 1969 beschrie­ben. Da es sehr gut doku­men­tiert und nach­voll­zieh­bar ist, ent­schie­den wir, die­ses elek­tri­sche Modell zur Grund­la­ge für unse­re Unter­su­chun­gen zu machen.

Re-engi­nee­ring mit moder­ner Technologie

Noor­der­graf und Wes­ter­hof bau­ten ihr Arte­ri­en­mo­dell mit rea­len elek­tro­ni­schen Kom­po­nen­ten auf und ver­drah­te­ten es von Hand — ein immenser Auf­wand für ein sta­ti­sches und nicht leicht ver­än­der­ba­res Modell. Hier­zu ver­wen­de­ten sie 121 Bau­grup­pen, die die teils sehr unter­schied­li­chen Seg­men­te (“Wind­kes­sel­ele­men­te”) des gesam­ten Arte­ri­en­baums nach­bil­den soll­ten. Heut­zu­ta­ge sind wir in der Lage, elek­tro­ni­sche Schalt­krei­se per Soft­ware zu rea­li­sie­ren und ihr Ver­hal­ten mit hoher Prä­zi­si­on zu simu­lie­ren und zu para­me­tri­sie­ren und so konn­ten wir mit Hil­fe der Soft­ware LTspi­ce das Noor­der­graf-Wes­ter­hof-Modell gut nach­bil­den und diver­sen Tests unter­zie­hen. Dabei stell­ten wir bald fest, dass das Modell in eini­gen wesent­li­chen Aspek­ten stark von der phy­sio­lo­gi­schen Rea­li­tät abwich. Im Modell wur­den näm­lich — um den Auf­wand für den manu­el­len Auf­bau in Gren­zen zu hal­ten — Ver­ein­fa­chun­gen vor­ge­nom­men, die die tat­säch­lich vor­han­de­nen Reso­nanz­ei­gen­schaf­ten der Arte­ri­en igno­rier­ten. Wir konn­ten die­se Ver­ein­fa­chun­gen im Soft­ware-Modell rück­gän­gig machen und nah­men eini­ge wei­te­re Kor­rek­tu­ren vor. Unser ver­fei­ner­tes Modell besteht in der Fol­ge aus 711 statt 121 Windkesselelementen.

Die Ent­wick­lung des ver­fei­ner­ten Soft­ware­mo­dell haben wir zusam­men mit Wis­sen­schaft­lern der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg-Mann­heim Anfang 2018 im Jour­nal of Appli­ed Phy­sio­lo­gy ver­öf­fent­licht [2]. In die­ser Publi­ka­ti­on sind auch erst­mals eini­ge wich­ti­ge neue Per­spek­ti­ven in Bezug auf das dyna­mi­sche Ver­hal­ten der Arte­ri­en und die Ent­ste­hung der unter­schied­li­chen Puls­wel­len­for­men ent­hal­ten. Für das tie­fe­re Ver­ständ­nis des neu­en Arte­ri­en­mo­dells und die Schluss­fol­ge­run­gen dar­aus emp­feh­len wir Lek­tü­re der Ver­öf­fent­li­chung (open access).

Das Noor­der­graf-Wes­ter­hof-Arte­ri­en­mo­dell aus dem Jahr 1969.
Das ver­fei­ner­te Arte­ri­en­mo­dell: Die Grund­la­ge des VASCASSIST-Messverfahrens 
Wo ist der kli­ni­sche Nutzen?

Das ver­fei­ner­te Arte­ri­en­mo­dell ver­hielt sich nach Ein­füh­rung unse­rer Kor­rek­tu­ren schon sehr rea­lis­tisch. Es war schon mög­lich, bekann­te Puls­kur­ven­for­men im gesam­ten Arte­ri­en­mo­dell zu erzeu­gen, wobei als “künst­li­ches Herz” im Wesent­li­chen nur ein per Soft­ware jus­tier­ba­rer, ver­ein­fach­ter Drei­eck­s­im­puls fun­gier­te — ent­spre­chend dem Ver­lauf des Blut­aus­wurfs aus dem rea­len Herzen.

Damit konn­te das Arte­ri­en­mo­dell schon sehr gut zu Anschau­ungs­zwe­cken genutzt wer­den. Man konn­te — ähn­lich wie es Noor­der­graf und Wes­ter­hof in ihrer Ori­gi­nal­ver­öf­fent­li­chung taten — die Gefä­ße auf eng oder weit, steif oder elas­tisch und den peri­phe­ren Wider­stand auf hoch oder nied­rig stel­len und die Ver­än­de­run­gen in den Puls­wel­len­for­men an den unter­schied­lichs­ten Stel­len im Arte­ri­en­mo­dell beobachten.

Doch der kli­ni­sche Nut­zen sol­cher Model­le ist der­zeit immer noch sehr gering, wie fol­gen­des Zitat tref­fend beschreibt:

Gera­de kom­ple­xe­re (…) kar­dio­vas­ku­lä­re Model­le wur­den meist zu For­schungs­zwe­cken ent­wi­ckelt. Bis heu­te wer­den nur die Kon­zep­te der vas­ku­lä­ren Impe­danz und der Puls­wel­len­ge­schwin­dig­keit im grö­ße­ren Umfang genutzt, um bei kli­ni­schen Dia­gno­sen und Behand­lun­gen zu unter­stüt­zen und nur weni­ge (…) inte­grier­te Model­le, die Herz und Gefä­ße als Gan­zes abbil­den, sind in der kli­ni­schen Pra­xis zu fin­den. Mit dem Erfolg von (…) Model­len bei der Simu­la­ti­on kar­dio­vas­ku­lä­rer Dyna­mi­ken unter ver­schie­de­nen phy­sio­lo­gi­schen und patho­lo­gi­schen Bedin­gun­gen (…) wird es Zeit, zusam­men mit den kli­ni­schen Anwen­dern die inte­grier­ten Model­le zu per­so­na­li­sie­ren, um ein pati­en­ten­spe­zi­fi­sches Model­ling zu errei­chen, was dann Inno­va­tio­nen für die kar­dio­vas­ku­lä­re Pra­xis her­vor­brin­gen wird [3].

Iden­ti­fi­ka­ti­on der Modellparameter

Wir kom­men auf unse­re obi­ge Fra­ge zurück: Ist es mög­lich, ein Modell des Arte­ri­en­baums eines belie­bi­gen Men­schen anzu­fer­ti­gen? Und kön­nen wir dar­in dann wich­ti­ge arte­ri­el­le Kreis­lauf­ei­gen­schaf­ten “in simu­la­tio­ne” ablesen?

Um ein indi­vi­dua­li­sier­tes Arte­ri­en­mo­dell zu berech­nen, muss man zunächst die wich­tigs­ten Modell­pa­ra­me­ter iden­ti­fi­zie­ren, die aus­rei­chen, um mehr oder weni­ger alle vor­kom­men­den Puls­kur­ven­for­men zu simu­lie­ren. Dies ist bei allen Model­len der wich­tigs­te Schritt, um Simu­la­tio­nen effek­tiv und qua­li­ta­tiv durch­füh­ren zu kön­nen. Ist die Anzahl der Modell­pa­ra­me­ter zu hoch, strebt die Simu­la­ti­ons­dau­er gegen Unend­lich, ist die Anzahl zu nied­rig, sinkt die Qua­li­tät der Simu­la­ti­on. Die acht Para­me­ter wur­den im Rah­men unse­rer For­schungs­ar­bei­ten inner­halb von ca. zwei Jah­ren ermit­telt und sind eine aus­ge­feil­te Kom­pro­miss­lö­sung, die einer­seits eine ver­nünf­ti­ge Simu­la­ti­ons­dau­er, ande­rer­seits eine hin­rei­chen­de Simu­la­ti­ons­qua­li­tät gewährleisten.

Es han­delt sich dabei zum einen um die phy­si­ka­li­schen Arte­ri­en­ei­gen­schaf­ten (die zen­tra­len Ele­men­te des arte­ri­el­len Wind­kes­sels eines Arterienabschnitts):

  1. Zen­tra­le Gefä­ßel­as­ti­zi­tät bzw. Gefäß­stei­fig­keit, stell­ver­tre­tend für die Elas­ti­zi­tät bzw. Stei­fig­keit aller gro­ßen elas­ti­schen Arterien,
  2. Peri­phe­re Gefä­ßel­as­ti­zi­tät bzw. Gefäß­stei­fig­keit, stell­ver­tre­tend für die Elas­ti­zi­tät bzw. Stei­fig­keit aller mus­ku­lö­sen Leitungsarterien,
  3. Fluss­wi­der­stand der Arte­ri­en, stell­ver­tre­tend für den Wider­stand, den das Blut beim Pas­sie­ren der Arte­ri­en erfährt und
  4. Blut­mas­sen­träg­heit, stell­ver­tre­tend für die Fließ­ei­gen­schaf­ten des Blutes.

Zum ande­ren muss der drei­ecks­för­mi­ge Blut­fluss­im­puls, der beim Aus­wurf des Bluts aus der lin­ken Herz­kam­mer ent­steht, mit Hil­fe fol­gen­der Para­me­ter ange­passt werden:

  1. Dau­er des maxi­ma­len Blut­flus­ses LVPT (left ven­tri­cu­lar pla­teau time, wenn die­se nicht Null ist, wan­delt sich der Drei­eck­s­im­puls zu einem Tra­pez) — Stre­cke 1 im Dia­gramm rechts
  2. Links­ven­tri­ku­lä­re Aus­wurf­zeit LVET (left ven­tri­cu­lar ejec­tion time) — Stre­cke 2 im Diagramm
  3. Zyklus­dau­er — Stre­cke 3 im Diagramm
  4. Ampli­tu­de des Rück­flus­ses nach Herz­klap­pen­schluss — Stre­cke 4 im Diagram

Wie man leicht erkennt, sind die Modell­pa­ra­me­ter genau die wich­ti­gen Para­me­ter, die letzt­end­lich die arte­ri­el­len Kreis­lauf­ei­gen­schaf­ten beschrei­ben und von denen uns die meis­ten für die kli­ni­sche Anwen­dung inter­es­sie­ren. Gelingt die Model­lie­rung so, dass das Modell die Puls­kur­ven eines belie­bi­gen Pro­ban­den erzeu­gen kann, haben wir mit den Modell­pa­ra­me­tern gleich­zei­tig die Eigen­schaf­ten von Herz und arte­ri­el­lem Kreis­lauf des Pro­ban­den ermit­telt — und dies nicht nur punk­tu­ell, son­dern als Sys­tem­pa­ra­me­ter, der etwa die durch­schnitt­li­che Stei­fig­keit oder auch die Durch­läs­sig­keit der Lei­tungs­ar­te­ri­en des gan­zen Arte­ri­en­baums oder zumin­dest eines gan­zen Abschnitts (bspw. vom Her­zen bis zur A. radia­lis) widerspiegelt.

Anpas­sungs­pa­ra­me­ter des Blutflussimpulses

1: LVPT (Left ven­tri­cu­lar pla­teau time)
2: LVET (Left ven­tri­cu­lar ejec­tion time)
3: Zyklusdauer
4: Ampli­tu­de des Rückflusses

Der ent­schei­den­de Schritt: Auto­ma­ti­sier­te Berech­nung des indi­vi­du­el­len Arterienmodells

Nach­dem die Modell­pa­ra­me­ter gefun­den waren, muss­ten wir eine Rechen­vor­schrift (Algo­rith­mus) ent­wi­ckeln, der die Modell­pa­ra­me­ter so anpasst, dass sich ein rea­les Abbild des arte­ri­el­len Kreis­lauf­sys­tems einer belie­bi­gen Per­son ergibt. Eine ein­fa­che Metho­de wäre, alle Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten der acht Modell­pa­ra­me­ter mit einer ver­nünf­ti­gen Rechen­ge­nau­ig­keit zu simu­lie­ren und die jeweils erzeug­ten Radia­li­spuls­kur­ven mit den gemes­se­nen Radia­li­spuls­kur­ven zu ver­glei­chen. Die­je­ni­gen Modell­pa­ra­me­ter, deren simu­lier­te Puls­kur­ve die höchs­te Über­ein­stim­mung mit der gemes­se­nen Puls­kur­ve eines Pro­ban­den ergä­be, wären die gesuch­ten, indi­vi­dua­li­sier­ten Modellparameter.

Lei­der ist die­se Metho­de nicht anwend­bar, da sich selbst bei der gerin­gen Anzahl von acht Modell­pa­ra­me­tern und bei einer Simu­la­ti­ons­dau­er von etwa 1 bis 3 Sekun­den auf­grund der hohen Anzahl von Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten eine Rechen­zeit ergä­be, die län­ger wäre als die Zeit vom Urknall bis heute …

Nach etli­chen, zum Teil sehr auf­wän­di­gen Ver­su­chen konn­ten wir ein drei­stu­fi­ges Berech­nungs­sys­tem ent­wi­ckeln, das — ver­ein­facht dar­ge­legt — fol­gen­der­ma­ßen arbeitet:

    1. Eine künst­li­che Intel­li­genz in Form eines trai­nier­ten Neu­ro­na­len Netz­werks schätzt anhand von gemes­se­nen Puls­kur­ve der A. radia­lis alle acht Modell­pa­ra­me­ter ab. Hier­zu wer­den im Stan­dard­fall mit Hil­fe des Mess­ge­rä­tes “Vas­cAs­sist 2” an der lin­ken und an der rech­ten A. radia­lis abwech­selnd 15 Puls­zy­klen auf­ge­zeich­net und dies ins­ge­samt drei Mal. Die Puls­zy­klus-Sequen­zen wer­den von Arte­fak­ten berei­nigt und mit­tels Signal Aver­aging zu ins­ge­samt sechs reprä­sen­ta­ti­ven Ein­zel­zy­klen gemit­telt. Alle sechs Ein­zel­zy­klen wer­den hin­ter­ein­an­der dem Neu­ro­na­len Netz­werk zuge­führt, die sechs abge­schätz­ten Modell­pa­ra­me­ter­sät­ze wer­den zu einem mitt­le­ren Para­me­ter­satz gemit­telt. Die­ser ers­te Schritt dau­ert nur weni­ge Sekunden.
    2. Der Modell­pa­ra­me­ter­satz, der eine ers­te Schät­zung dar­stellt, ist die Grund­la­ge für die zwei­te Stu­fe des Berech­nungs­sys­tem. Mit­tels eines soge­nann­ten “evo­lu­tio­nä­ren Algo­rith­mus” wer­den die acht Para­me­ter so lan­ge vari­iert bzw. opti­miert, bis sich ein sta­bi­ler End­zu­stand für die Modell­pa­ra­me­ter ein­stellt. “Evo­lu­tio­nä­re Algo­rith­men” sind sehr gut taug­lich für Pro­blem­lö­sun­gen, bei denen eine Anzahl Ein­gangs­da­ten (unse­re acht noch nicht so per­fek­ten Modell­pa­ra­me­ter) vari­iert wer­den kön­nen und für jeden Varia­ti­ons­schritt die Güte des Zwi­schen­er­geb­nis­ses (evo­lu­tio­nä­re Fit­ness) berech­net wer­den kann. In unse­rem Fall wird die Güte jeder Varia­ti­on dadurch berech­net, dass die vari­ier­ten Modell­pa­ra­me­ter ins Arte­ri­en­mo­dell ein­ge­setzt wer­den, eine Simu­la­ti­on durch­ge­führt wird und anschlie­ßend die ermit­tel­te Kur­ve an der künst­li­chen A. radia­lis mit den gemes­se­nen reprä­sen­ta­ti­ven Ein­zel­zy­klen ver­gli­chen wird. Die Höhe der Über­ein­stim­mung von künst­li­chem Arte­ri­en­puls mit gemes­se­nem Arte­ri­en­puls ist dann die Güte der Varia­ti­on, ihre “Fit­ness”. Die­ser zwei­te Schritt dau­ert je nach Rech­ner­aus­stat­tung zwi­schen 10 und 40 Minuten.
    3. Bei den bis­he­ri­gen Schrit­ten wur­de nur die nor­mier­te Kur­ven­form der simu­lier­ten Puls­wel­le mit der nor­mier­ten Form der gemes­se­nen Puls­wel­le zur Über­ein­stim­mung gebracht, dadurch wur­den die Wind­kes­sel­ele­men­te der elas­ti­schen Arte­ri­en und der Lei­tungs­ar­te­ri­en fest­ge­legt. Im letz­ten Schritt wer­den nun der peri­phe­re Wider­stand, der durch die klei­nen Arte­ri­en und Arte­rio­len ent­steht sowie die Abso­lut­am­pli­tu­de des Blut­fluss­im­pul­ses aus dem Her­zen so lan­ge vari­iert, bis der Bra­chi­al­druck in der Simu­la­ti­on mit dem zuvor gemes­se­nen Bra­chi­al­druck des Pro­ban­den über­ein­stimmt. Dadurch neh­men die Abso­lut­drü­cke im Sys­tem rea­lis­ti­sche Wer­te an und es kann sogar der abso­lu­te Zen­tral­druck direkt am Ein­gang zur Aor­ta in der Simu­la­ti­on “gemes­sen” wer­den. Die­ser Schritt bean­sprucht eini­ge Sekunden.

Am Ende der drit­ten Berech­nungs­stu­fe ste­hen dann der opti­mier­te Modell­pa­ra­me­ter­satz und die Simu­la­ti­ons­qua­li­tät in Pro­zent zur Ver­fü­gung. Die Qua­li­tät erreicht in schlecht simu­lier­ba­ren Fäl­len eine Genau­ig­keit von 97%, häu­fig 99,5%, aber durch­aus auch 99,9%. Ein Wert von 100% wür­de eine voll­kom­me­ne Über­ein­stim­mung von Simu­la­ti­on und Rea­li­tät bedeuten.

Bei­spiel-Berech­nung des Arte­ri­en­mo­dells eines 65-Jährigen

Und letzt­end­lich: Der kli­ni­sche Nut­zen des neu­en Arte­ri­en­mo­dells “Vasc­Mo­del”

Im Lauf der Zeit zeich­ne­te sich ab, dass die für jede Per­son ermit­tel­ten Modell­pa­ra­me­ter­sät­ze eine gan­ze Fül­le von kli­nisch wert­vol­len Infor­ma­tio­nen liefern.

Etli­che bekann­te Para­me­ter wie z.B. die Gefäß­stei­fig­keit erfah­ren bei der Ermitt­lung über das indi­vi­dua­li­sier­te Modell eine ganz neue Qua­li­tät und Plau­si­bi­li­tät im Ver­gleich zur indi­rekt über Puls­wel­len­ge­schwin­dig­keit und Aug­men­ta­ti­ons­in­dex ermit­tel­ten Steifigkeit.

Auch der zen­tra­le Blut­druck lässt sich im Modell mit neu­er Qua­li­tät able­sen, die Ver­öf­fent­li­chung einer kli­ni­schen Vali­die­rung steht der­zeit kurz bevor.

Der weit­aus inter­es­san­tes­te Para­me­ter, der nicht immer Hand in Hand geht mit der Gefäß­stei­fig­keit, ist jedoch der arte­ri­el­le Durch­fluss­wi­der­stand, der zwar bekannt, aber unse­rer Mei­nung nach voll­kom­men unter­schätzt wird. Er ist einer­seits mit her­kömm­li­chen Mit­teln kaum direkt noch indi­rekt mess­bar, im Modell ist er aber sehr leicht und gut repro­du­zier­bar zu ermit­teln. Letzt­end­lich dürf­te er ins­ge­samt sogar bedeu­tungs­vol­ler sein als die Gefäß­stei­fig­keit, zeigt er doch auf leicht ver­ständ­li­che Art und Wei­se an, wie “durch­gän­gig” die wich­ti­gen Lei­tungs­ar­te­ri­en sind. Beein­flusst wird der Lei­tungs­wi­der­stand zum einen durch das mitt­le­re freie Lumen der Gefä­ße. Lie­gen auf einem Arte­ri­en­seg­ment Abla­ge­run­gen, Plaque oder sogar Eng­stel­len, erhöht sich der Wider­stand dra­ma­tisch. Und ist zum ande­ren die Varia­ti­on des Gefäß­to­nus, also die Weit- oder Eng­stel­lung der Gefä­ße, auf­grund von Athero­skle­ro­se und der ein­her­ge­hen­den Endo­thel-Dys­funk­ti­on ein­ge­schränkt, ist der Wider­stand auch im Ruhe­zu­stand deut­lich erhöht. Da die Abla­ge­rung von Plaque in den Gefä­ßen und die Athero­skle­ro­se häu­fig ver­ge­sell­schaf­tet sind, steigt bei ent­spre­chen­dem Gefäß­sta­tus der Wider­stand dop­pelt stark an und ist leicht erkenn­bar. Da Ver­än­de­run­gen des inne­ren Durch­mes­sers der Arte­ri­en in vier­ter Potenz (!) in den Wider­stand ein­ge­hen, lässt sich die Zunah­me des Wider­stands in eini­gen Fäl­len schon im Alter von 20–30 Jah­ren fest­stel­len (bei­spiels­wei­se bei Adi­po­si­tas). Dies erfolgt dann in einem Sta­di­um, das noch kei­ne kli­ni­sche Rele­vanz besitzt, wo aber die Früh­erken­nung in Ver­bin­dung mit einer adäqua­ten Inter­ven­ti­on (sport­li­che Betä­ti­gung, Ernäh­rungs­um­stel­lung, …) zu einer aner­kannt deut­li­chen Stei­ge­rung der Lebens­er­war­tung füh­ren kann.

An die­ser Stel­le wür­de eine wei­ter­füh­ren­de Dar­stel­lung aller neu­en Mög­lich­kei­ten des indi­vi­du­el­len Arte­ri­en­mo­dells den Rah­men spren­gen. An ande­rer Stel­le gehen wir jedoch auch auf wei­te­re Para­me­ter und Aus­wer­tungs­de­tails ein, bei­spiels­wei­se auch auf die Pla­teau­zeit des Blut­fluss-Impul­ses, der unse­rer Ver­mu­tung nach Schlüs­se auf Herz­vi­ti­en zulässt (sie­he … !!!).