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November 19, 2020

Covid-19 ist eine Gefäß­krank­heit: Eine Bewer­tung der kar­dio­vas­ku­lä­ren Risikofaktoren

Mit Covid-19 — der Erkran­kung, die durch das schwe­re aku­te respi­ra­to­ri­sche Syn­drom Coro­na­vi­rus 2 (SARS-CoV‑2) ver­ur­sacht wird — steht das glo­ba­le Gesund­heits­sys­tem vor einer Her­aus­for­de­rung von bis­her unge­ahn­tem Umfang und Auswirkungen.

In die­sen Zei­ten, und erst recht zukünf­tig vor dem Hin­ter­grund der zu erwar­ten­den, gra­vie­ren­den Nach­wir­kun­gen der gegen­wär­ti­gen Pan­de­mie — ist es mehr denn je ange­ra­ten, die moderns­te Tech­no­lo­gie zur Bewer­tung der Herz-Kreis­lauf-Funk­ti­on von betrof­fe­nen Pati­en­ten ein­zu­set­zen. Zu die­sem Kreis gehö­ren nicht nur Per­so­nen, die an Herz­in­suf­fi­zi­enz oder Blut­hoch­druck lei­den. Es betrifft auch Pati­en­ten mit Nie­ren­er­kran­kun­gen, Dia­be­tes, Hirn­er­kran­kun­gen oder der chro­nisch obstruk­ti­ven Lun­gen­er­kran­kung (COPD).

Ursäch­li­cher Fak­tor all die­ser Erkran­kun­gen ist eine arte­ri­el­le Ent­zün­dung. Was die Not­wen­dig­keit unter­streicht, den Blut­druck und den Grad der arte­ri­el­len Steif­heit eines Pati­en­ten genau zu mes­sen. Ein wich­ti­ger Grund für die ver­stärk­te Kon­zen­tra­ti­on auf die­se hämo­dy­na­mi­schen Fak­to­ren wäh­rend der aktu­el­len Pan­de­mie ist die Erkennt­nis, dass COVID-19 zwar im All­ge­mei­nen von Atem­wegs­sym­pto­men domi­niert wird, aber eben auch das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem erheb­lich beein­träch­tigt wird. Und zwar auf meh­re­ren ver­schie­de­nen Ebenen.

Soviel ist klar: Wir wer­den uns noch lan­ge mit COVID-19 und all sei­nen zahl­rei­chen Begleit­erschei­nun­gen aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Des­halb ist es uner­läss­lich, dass Medi­zi­ner die kar­dio­vas­ku­lä­ren Aspek­te die­ser Infek­ti­on und sämt­li­che Mög­lich­kei­ten der Dia­gno­se und Über­wa­chung kri­ti­scher Fak­to­ren bes­ser ver­ste­hen: Dazu gehö­ren ins­be­son­de­re der zen­tral­arte­ri­el­le Blut­druck, arte­ri­el­le Ent­zün­dun­gen, sowie die Stei­fig­keit der Arte­ri­en. Wer die­se Para­me­ter im Blick behält, kann allen Pati­en­ten bes­ser hel­fen, mit die­ser Infek­ti­on und den vie­len Kör­per­funk­tio­nen und ‑sys­te­men, die sie beein­träch­ti­gen kann, umzugehen.

COVID-19 schä­digt die Blutgefäße

Medi­zi­ner haben bei COVID-19-Pati­en­ten Durch­blu­tungs­stö­run­gen, Blut­ge­rinn­sel, Nie­ren­schä­den, Schlag­an­fall, Herz­ent­zün­dun­gen und Hirn­schwel­lun­gen beob­ach­tet. Kurz gesagt, so Dr. Man­de­ep Mehra, medi­zi­ni­scher Direk­tor des Herz- und Gefäß­zen­trums des Brig­ham and Women’s Hos­pi­tal Heart and Vas­cu­lar Cen­ter: „Wenn man alle Daten, die sich her­aus­kris­tal­li­sie­ren, zusam­men­zählt, stellt sich her­aus, dass die­ses Virus wahr­schein­lich ein vas­ku­lo­tro­pes Virus ist, was bedeu­tet, dass es die [Blut­ge­fä­ße] befällt.“ [1]

Die Autoren einer Stu­die, die im April 2020 in The Lan­cet erschien, erklär­ten, dass das SARS-CoV-2-Virus die Endo­thel­zel­len infi­zie­ren kann, die unter ande­rem die Innen­wand der Arte­ri­en auskleiden.[2] Die­se Zel­len beein­flus­sen die Blut­ge­rin­nung, die Immun­ant­wort und ande­re kri­ti­sche kar­dio­vas­ku­lä­re Fak­to­ren. Eben die­se Zel­len wer­den im Herz, in der Lun­ge, in der Leber und im Darm­trakt von Per­so­nen, die an COVID-19 erkrankt sind, geschä­digt. Dies deu­tet dar­auf hin, so Mehra, dass COVID-19 „eigent­lich eine Gefäß­krank­heit ist, die Men­schen durch die Betei­li­gung der Gefä­ße tötet.“

Eine Atem­wegs­er­kran­kung mit Gefäß­be­tei­li­gung ist „prak­tisch unbekannt“[2], doch was Wis­sen­schaft­ler laut Mehra sehen, ist, dass das zer­stör­te Lun­gen­ge­we­be die Blut­ge­fä­ße auf­bricht, sobald das Virus die Lun­gen angreift. In der Fol­ge wer­den die Endo­thel­zel­len infi­ziert, und es ent­wi­ckelt sich eine loka­le Immun­ant­wort. Das Ergeb­nis ist ein ent­zün­de­tes Endothel.

Wei­te­re Schä­den tre­ten auf, da „Ent­zün­dung und endo­the­lia­le Dys­funk­ti­on die Plaqu­erup­tur för­dern“, erklärt Dr. San­jum Sethi, MPH, ein inter­ven­tio­nel­ler Kar­dio­lo­ge am Irving Medi­cal Cen­ter der Colum­bia Uni­ver­si­ty [2]. Medi­zi­ner haben hohe Raten von kar­dio­vas­ku­lä­ren Schä­den und Herz­in­fark­ten bei COVID-19-Pati­en­ten beob­ach­tet. Daher haben Pati­en­ten mit Plaque in ihren Blut­ge­fä­ßen, die an sich medi­ka­men­tös in den Griff zu bekom­men sind, mög­li­cher­wei­se ein höhe­res Herz­in­farkt­ri­si­ko, wenn sie an einer Ent­zün­dung im Zusam­men­hang mit COVID-19 leiden.

Dar­über hin­aus könn­ten Ent­zün­dun­gen und Endo­thel­schä­den auch erklä­ren, war­um Per­so­nen mit Vor­er­kran­kun­gen wie Dia­be­tes, Herz­krank­hei­ten, Blut­hoch­druck und hohem Cho­le­ste­rin­spie­gel ein höhe­res Risi­ko für lebens­be­droh­li­che Kom­pli­ka­tio­nen durch COVID-19 haben. Da alle die­se Erkran­kun­gen mit einer Dys­funk­ti­on der Endo­thel­zel­len ein­her­ge­hen, könn­ten die durch die Virus­in­fek­ti­on ver­ur­sach­ten Schä­den und Ent­zün­dun­gen für die­se Pati­en­ten den ent­schei­den­den Fak­tor für einen schwe­ren Ver­lauf darstellen.

Wei­te­re Hin­wei­se auf eine vas­ku­lä­re Betei­li­gung bei COVID-19

Im New Eng­land Jour­nal of Medi­ci­ne berich­te­te ein For­scher­team vor kur­zem über die weit ver­brei­te­ten Hin­wei­se auf Blut­ge­rinn­sel und infi­zier­te Endo­thel­zel­len im Lun­gen­ge­we­be eines ver­stor­be­nen COVID-19-Pati­en­ten [3]. Nach Ansicht des Mit­au­tors der Stu­die, Dr. Wil­liam Li, der auch Prä­si­dent der Angio­ge­ne­sis Foun­da­ti­on ist, ist es mög­lich, dass die Blut­ge­fä­ße, sobald sie infi­ziert sind, das Vehi­kel für die Über­tra­gung des Virus in den gesam­ten Kör­per sein, und ande­re Orga­ne infi­zie­ren könn­ten. Dies ist bei Atem­wegs­er­kran­kun­gen nor­ma­ler­wei­se nicht der Fall.

Li stell­te fest, dass Endo­thel­zel­len das gesam­te Kreis­lauf­sys­tem des Kör­pers, das aus 60.000 Mei­len Blut­ge­fä­ßen besteht, mit­ein­an­der ver­bin­den. Er stell­te die Fra­ge: „Ist dies eine Mög­lich­keit, wie COVID-19 das Gehirn, das Herz und den ‚COVID-Zeh‘ beein­flus­sen kann? Könn­te das Virus über die Endo­thel­zel­len durch den Kör­per wan­dern oder auf die­sem Weg in den Blut­kreis­lauf gelan­gen? „Die Ant­wort dar­auf wis­sen wir nicht“, sag­te er.

Ent­zün­dun­gen sind eine bekann­te Ursa­che für eine erhöh­te arte­ri­el­le Steif­heit. Die­se wie­der­um ist ein Prä­dik­tor für den Ver­lauf vie­ler kar­dio­vas­ku­lä­rer Erkran­kun­gen. Wei­ter­hin ist erwie­sen, dass die Ver­stei­fung der Arte­ri­en bei einer Rei­he von ent­zünd­li­chen Erkran­kun­gen wie rheu­ma­to­ider Arthri­tis, COPD, Pso­ria­sis, ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen und ande­ren signi­fi­kant erhöht ist. Eine endo­the­lia­le Dys­funk­ti­on ist eben­falls mit einer erhöh­ten Gefäß­stei­fig­keit asso­zi­iert. Ob Pati­en­ten mit erhöh­ter arte­ri­el­ler Steif­heit vor der COVID-19-Infek­ti­on ein höhe­res Risi­ko für schwe­re Kom­pli­ka­tio­nen haben, oder ob die Infek­ti­on die arte­ri­el­le Ver­stei­fung beschleu­nigt, ist noch nicht bekannt. Bemer­kens­wert ist jedoch, dass eine Hypo­the­se besagt, dass Kin­der durch ihre gesun­den Blut­ge­fä­ße vor den schlimms­ten Kom­pli­ka­tio­nen durch das Coro­na­vi­rus geschützt sind [4].

Die kar­te­sia­ni­sche Studie

Im Mai 2020 kün­dig­te die Artery Socie­ty in Euro­pa den Start eines mul­ti­zen­tri­schen For­schungs­pro­jekts zur Unter­su­chung der mit­tel- und lang­fris­ti­gen Fol­gen von COVID-19 auf das Herz-Kreis­lauf-Sys­tem an. Ins­be­son­de­re sol­len zen­tra­le hämo­dy­na­mi­sche Pati­en­ten­da­ten ana­ly­siert werden.

Teil­neh­mer an der Stu­die wer­den Per­so­nen mit kürz­lich bestä­tig­ter COVID-19-Infek­ti­on sein. Sie wer­den drei bis sechs Mona­te nach der Dia­gno­se, und erneut ein Jahr nach ihrer Dia­gno­se unter­sucht. Die Aus­wer­tung umfasst die Beur­tei­lung der karo­tisch-femo­ra­len PWV und die Ana­ly­se der Wel­len­form des zen­tra­len Blut­drucks sowie Indi­ka­to­ren der Karo­tis­geo­me­trie und ‑stei­fig­keit, der Endo­thel­funk­ti­on, des zen­tra­len 24-Stun­den-Blut­drucks und der Remo­del­lie­rung der klei­nen Arte­ri­en. Sowohl eine fünf- als auch eine zehn­jäh­ri­ge kli­ni­sche Nach­be­ob­ach­tung ist geplant, um das Risi­ko kar­dio­vas­ku­lä­rer Ereig­nis­se im Zusam­men­hang mit der zen­tra­len Hämo­dy­na­mik und der arte­ri­el­len Steif­heit bei Über­le­ben­den des Coro­na­vi­rus zu bestimmen.

Fazit

Die offen­sicht­lich vas­ku­lä­re Natur von COVID-19 und die immense Bedeu­tung die­ses Zusam­men­hangs machen deut­lich, dass Medi­zi­ner die kar­dio­vas­ku­lä­ren Risi­ko­fak­to­ren, ein­schließ­lich Blut­hoch­druck, Arte­ri­en­ver­stei­fung und arte­ri­el­ler Ent­zün­dung, mit den bes­ten ver­füg­ba­ren dia­gnos­ti­schen Tech­ni­ken unter­su­chen und bewer­ten müs­sen. Der Gold­stan­dard für die nicht-inva­si­ve Mes­sung des zen­tra­len Blut­drucks und der arte­ri­el­len Stei­fig­keit ist VASCASSIST. Mit­hil­fe der Modell­ba­sier­ten Puls­wel­len­ana­ly­se (mbPWA), die dem Gerät zugrun­de liegt, erhal­ten Medi­zi­ner und alle ande­ren Gesund­heits­dienst­leis­ter wich­ti­ge Ein­bli­cke in die vas­ku­lä­re Gesund­heit ihrer Pati­en­ten — ins­be­son­de­re hin­sicht­lich des Grads der arte­ri­el­len Stei­fig­keit und des aor­ta­len Blut­drucks (cBP). Die­se Infor­ma­tio­nen sind sowohl für die Dia­gnos­tik als auch für die Behand­lung der Spät­fol­gen von Long COVID entscheidend. 

Quel­len­an­ga­ben

  1. [1]Smith DG. Coro­na­vi­rus may be a blood ves­sel dise­a­se, which explains ever­y­thing. Ele­men­tal Medi­um 2020 May 28
  2. Var­ga Z et al. Endo­the­li­al cell infec­tion and endo­the­li­tis in COVID-19The Lan­cet2020 May 2; 395(10234):P1417-18
  3. Acker­mann M et al. Pul­mo­na­ry vas­cu­lar endo­the­lia­li­tis, throm­bo­sis, and angio­ge­ne­sis in Covid-19. New Eng­land Jour­nal of Medi­ci­ne 2020 May 21
  4. Cyra­no­ski D. Why child­ren avo­id the worst coro­na­vi­rus com­pli­ca­ti­ons might lie in their arte­ries. Natu­re 2020 June 11; 582: 324–325

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