Mit Covid-19 — der Erkrankung, die durch das schwere akute respiratorische Syndrom Coronavirus 2 (SARS-CoV‑2) verursacht wird — steht das globale Gesundheitssystem vor einer Herausforderung von bisher ungeahntem Umfang und Auswirkungen.
In diesen Zeiten, und erst recht zukünftig vor dem Hintergrund der zu erwartenden, gravierenden Nachwirkungen der gegenwärtigen Pandemie — ist es mehr denn je angeraten, die modernste Technologie zur Bewertung der Herz-Kreislauf-Funktion von betroffenen Patienten einzusetzen. Zu diesem Kreis gehören nicht nur Personen, die an Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck leiden. Es betrifft auch Patienten mit Nierenerkrankungen, Diabetes, Hirnerkrankungen oder der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Ursächlicher Faktor all dieser Erkrankungen ist eine arterielle Entzündung. Was die Notwendigkeit unterstreicht, den Blutdruck und den Grad der arteriellen Steifheit eines Patienten genau zu messen. Ein wichtiger Grund für die verstärkte Konzentration auf diese hämodynamischen Faktoren während der aktuellen Pandemie ist die Erkenntnis, dass COVID-19 zwar im Allgemeinen von Atemwegssymptomen dominiert wird, aber eben auch das Herz-Kreislauf-System erheblich beeinträchtigt wird. Und zwar auf mehreren verschiedenen Ebenen.
Soviel ist klar: Wir werden uns noch lange mit COVID-19 und all seinen zahlreichen Begleiterscheinungen auseinandersetzen müssen. Deshalb ist es unerlässlich, dass Mediziner die kardiovaskulären Aspekte dieser Infektion und sämtliche Möglichkeiten der Diagnose und Überwachung kritischer Faktoren besser verstehen: Dazu gehören insbesondere der zentralarterielle Blutdruck, arterielle Entzündungen, sowie die Steifigkeit der Arterien. Wer diese Parameter im Blick behält, kann allen Patienten besser helfen, mit dieser Infektion und den vielen Körperfunktionen und ‑systemen, die sie beeinträchtigen kann, umzugehen.
COVID-19 schädigt die Blutgefäße
Mediziner haben bei COVID-19-Patienten Durchblutungsstörungen, Blutgerinnsel, Nierenschäden, Schlaganfall, Herzentzündungen und Hirnschwellungen beobachtet. Kurz gesagt, so Dr. Mandeep Mehra, medizinischer Direktor des Herz- und Gefäßzentrums des Brigham and Women’s Hospital Heart and Vascular Center: „Wenn man alle Daten, die sich herauskristallisieren, zusammenzählt, stellt sich heraus, dass dieses Virus wahrscheinlich ein vaskulotropes Virus ist, was bedeutet, dass es die [Blutgefäße] befällt.“ [1]
Die Autoren einer Studie, die im April 2020 in The Lancet erschien, erklärten, dass das SARS-CoV-2-Virus die Endothelzellen infizieren kann, die unter anderem die Innenwand der Arterien auskleiden.[2] Diese Zellen beeinflussen die Blutgerinnung, die Immunantwort und andere kritische kardiovaskuläre Faktoren. Eben diese Zellen werden im Herz, in der Lunge, in der Leber und im Darmtrakt von Personen, die an COVID-19 erkrankt sind, geschädigt. Dies deutet darauf hin, so Mehra, dass COVID-19 „eigentlich eine Gefäßkrankheit ist, die Menschen durch die Beteiligung der Gefäße tötet.“
Eine Atemwegserkrankung mit Gefäßbeteiligung ist „praktisch unbekannt“[2], doch was Wissenschaftler laut Mehra sehen, ist, dass das zerstörte Lungengewebe die Blutgefäße aufbricht, sobald das Virus die Lungen angreift. In der Folge werden die Endothelzellen infiziert, und es entwickelt sich eine lokale Immunantwort. Das Ergebnis ist ein entzündetes Endothel.
Weitere Schäden treten auf, da „Entzündung und endotheliale Dysfunktion die Plaqueruptur fördern“, erklärt Dr. Sanjum Sethi, MPH, ein interventioneller Kardiologe am Irving Medical Center der Columbia University [2]. Mediziner haben hohe Raten von kardiovaskulären Schäden und Herzinfarkten bei COVID-19-Patienten beobachtet. Daher haben Patienten mit Plaque in ihren Blutgefäßen, die an sich medikamentös in den Griff zu bekommen sind, möglicherweise ein höheres Herzinfarktrisiko, wenn sie an einer Entzündung im Zusammenhang mit COVID-19 leiden.
Darüber hinaus könnten Entzündungen und Endothelschäden auch erklären, warum Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten, Bluthochdruck und hohem Cholesterinspiegel ein höheres Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen durch COVID-19 haben. Da alle diese Erkrankungen mit einer Dysfunktion der Endothelzellen einhergehen, könnten die durch die Virusinfektion verursachten Schäden und Entzündungen für diese Patienten den entscheidenden Faktor für einen schweren Verlauf darstellen.
Weitere Hinweise auf eine vaskuläre Beteiligung bei COVID-19
Im New England Journal of Medicine berichtete ein Forscherteam vor kurzem über die weit verbreiteten Hinweise auf Blutgerinnsel und infizierte Endothelzellen im Lungengewebe eines verstorbenen COVID-19-Patienten [3]. Nach Ansicht des Mitautors der Studie, Dr. William Li, der auch Präsident der Angiogenesis Foundation ist, ist es möglich, dass die Blutgefäße, sobald sie infiziert sind, das Vehikel für die Übertragung des Virus in den gesamten Körper sein, und andere Organe infizieren könnten. Dies ist bei Atemwegserkrankungen normalerweise nicht der Fall.
Li stellte fest, dass Endothelzellen das gesamte Kreislaufsystem des Körpers, das aus 60.000 Meilen Blutgefäßen besteht, miteinander verbinden. Er stellte die Frage: „Ist dies eine Möglichkeit, wie COVID-19 das Gehirn, das Herz und den ‚COVID-Zeh‘ beeinflussen kann? Könnte das Virus über die Endothelzellen durch den Körper wandern oder auf diesem Weg in den Blutkreislauf gelangen? „Die Antwort darauf wissen wir nicht“, sagte er.
Entzündungen sind eine bekannte Ursache für eine erhöhte arterielle Steifheit. Diese wiederum ist ein Prädiktor für den Verlauf vieler kardiovaskulärer Erkrankungen. Weiterhin ist erwiesen, dass die Versteifung der Arterien bei einer Reihe von entzündlichen Erkrankungen wie rheumatoider Arthritis, COPD, Psoriasis, entzündlichen Darmerkrankungen und anderen signifikant erhöht ist. Eine endotheliale Dysfunktion ist ebenfalls mit einer erhöhten Gefäßsteifigkeit assoziiert. Ob Patienten mit erhöhter arterieller Steifheit vor der COVID-19-Infektion ein höheres Risiko für schwere Komplikationen haben, oder ob die Infektion die arterielle Versteifung beschleunigt, ist noch nicht bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, dass eine Hypothese besagt, dass Kinder durch ihre gesunden Blutgefäße vor den schlimmsten Komplikationen durch das Coronavirus geschützt sind [4].
Die kartesianische Studie
Im Mai 2020 kündigte die Artery Society in Europa den Start eines multizentrischen Forschungsprojekts zur Untersuchung der mittel- und langfristigen Folgen von COVID-19 auf das Herz-Kreislauf-System an. Insbesondere sollen zentrale hämodynamische Patientendaten analysiert werden.
Teilnehmer an der Studie werden Personen mit kürzlich bestätigter COVID-19-Infektion sein. Sie werden drei bis sechs Monate nach der Diagnose, und erneut ein Jahr nach ihrer Diagnose untersucht. Die Auswertung umfasst die Beurteilung der karotisch-femoralen PWV und die Analyse der Wellenform des zentralen Blutdrucks sowie Indikatoren der Karotisgeometrie und ‑steifigkeit, der Endothelfunktion, des zentralen 24-Stunden-Blutdrucks und der Remodellierung der kleinen Arterien. Sowohl eine fünf- als auch eine zehnjährige klinische Nachbeobachtung ist geplant, um das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse im Zusammenhang mit der zentralen Hämodynamik und der arteriellen Steifheit bei Überlebenden des Coronavirus zu bestimmen.
Fazit
Die offensichtlich vaskuläre Natur von COVID-19 und die immense Bedeutung dieses Zusammenhangs machen deutlich, dass Mediziner die kardiovaskulären Risikofaktoren, einschließlich Bluthochdruck, Arterienversteifung und arterieller Entzündung, mit den besten verfügbaren diagnostischen Techniken untersuchen und bewerten müssen. Der Goldstandard für die nicht-invasive Messung des zentralen Blutdrucks und der arteriellen Steifigkeit ist VASCASSIST. Mithilfe der Modellbasierten Pulswellenanalyse (mbPWA), die dem Gerät zugrunde liegt, erhalten Mediziner und alle anderen Gesundheitsdienstleister wichtige Einblicke in die vaskuläre Gesundheit ihrer Patienten — insbesondere hinsichtlich des Grads der arteriellen Steifigkeit und des aortalen Blutdrucks (cBP). Diese Informationen sind sowohl für die Diagnostik als auch für die Behandlung der Spätfolgen von Long COVID entscheidend.
Quellenangaben
- [1]Smith DG. Coronavirus may be a blood vessel disease, which explains everything. Elemental Medium 2020 May 28
- Varga Z et al. Endothelial cell infection and endothelitis in COVID-19. The Lancet2020 May 2; 395(10234):P1417-18
- Ackermann M et al. Pulmonary vascular endothelialitis, thrombosis, and angiogenesis in Covid-19. New England Journal of Medicine 2020 May 21
- Cyranoski D. Why children avoid the worst coronavirus complications might lie in their arteries. Nature 2020 June 11; 582: 324–325